Die Beteiligungsspirale als Methode zur Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen
Auch Stange, der Erfinder der Beteiligungsspirale, geht “davon aus, das der Mensch ein aktives, tätiges Wesen ist und das Bedürfnis nach vollständigen, an seinen Zielen orientierten und von ihm selber kontrollierten Handlungsabläufen hat. Wir gehen also aus von einem menschlichem Grundbedürfnis nach selbstbestimmter Kontrolle der eigenen Lebensbedingungen.”1 – Nach dem Streben nach Selbstverwirklichung.
“Partizipation ist für uns auch der Versuch, dieses Grundbedürfnis nach selbstbestimmter Kontrolle der eigenen Lebensbedingungen etwas besser zu befriedigen.”2
Zudem geht er in seiner Konzeption der Beteiligungsspirale ebenfalls von dem bereits hier beschriebenen Aneignungskonzept aus, welches auch meint, daß individuelle Aneignung immer mehrdimensional stattfindet. Des weiteren impliziert der Aneignungsprozeß vorgreifende Widerspiegelung, soziale Beziehungen, Selbstbewußtsein und Selbstaneignung. “Diese Implikationen ermöglichen aber auch, daß der Mensch Selbstbewußtsein durch sich ganz allein, durch seine Aktivität erhält. Man braucht sich ja nur vorzustellen, wie stolz Kinder auf ihre Bastelergebnisse sind …. Die Anerkennung von Außenstehenden ist hierbei gar nicht notwendig. Es ist die gegenständliche Tätigkeit, die eine Grundlage für die Konstitution von Selbstbewußtsein, von Selbstgefühl bildet.”3
Die Mehrdimensionalität in der Tätigkeit, auf die sich auch Stange bezieht, bedeutet ja, “daß psychische Prozesse ganzheitlich ablaufen. Und das heißt, daß alle anderen Prozesse wie die Kognitionen … und die Emotionen in diese aktiven Tätigkeits- und Handlungsstrukturen ganzheitlich eingebettet sind.”4
Nimmt man nun die sechs Dimensionen, wie sie Schilling5 zusammenträgt, hinzu, kann man zunächst davon ausgehen, daß jeder Mensch zumindest in einer der Dimensionen etwas besonders gut kann. Wird jene zuerst gefördert bzw. angesprochen, dann bedeutet dies, daß die übrigen ebenfalls positiv beeinflußt werden, da alle Dimensionen ja in einer Wechselwirkung zueinander stehen.
Und nur so kann sich der Mensch entwickeln, “wie es seinen Fähigkeiten, Fertigkeiten und seinem Können entspricht. Kann der Mensch seine Bedürfnisse befriedigen, dann fühlt er sich wohl, ist er gesund. Die sechs Dimensionen stehen in einer gesunden Balance, aus der heraus der Mensch sein Leben bewältigen kann.”6
Wie bereits in diesem Kapitel erwähnt, beinhalten Beteiligungsspiralen zumeist zentral Zukunftswerkstätten, die “sich ursprünglich als Ideenschmieden, Denkwerkstätten, Phantasiefabriken (verstehen)! Sie wollen soziale und politische Kreativität freisetzen und Mut machen zu einer aktiven Zukunftsplanung und -gestaltung. Zukunftswerkstätten sind also ein Modell der Problemlösung, Ideenfindung, Planung, Beteiligung sowie der Selbsthilfe von Betroffenen. … Zukunftswerkstätten verstehen sich als Kraftwerke der sozialen und politischen Innovation!”7 Und dies gerade auch dann, wenn soziale Systeme in der Krise stecken und sich umorientieren müssen.
Denn wo ganz neue Konzepte, echte Alternativen und neue Lösungen gesucht werden, sind gerade Zukunftswerkstätten in der Lage, durch die “Nutzung der Ressourcen der Vielen statt der Wenigen”8 und deren Expertentum direkt vor Ort in deren Lebenswelt, Problemlösungen und Planungen (auch nachhaltig) zu gestalten und zu optimieren.9
Die Zukunftswerkstatt nach Robert Jungk
Zukunftswerkstätten entstanden in den 60er Jahren aus der Kritik sozial engagierter Zukunftsforscher gegenüber den praktizierten Methoden der Interessengruppen aus Forschern, Politikern und Militärs, welche nach Zukunftsszenarien sogenannter Experten, die für sie erwünschten Szenarien in die Realität umzusetzen versuchten. Dabei wurden mehr technische denn soziale Gesichtspunkte in den Vordergrund gestellt.10
“Es wurde deutlich, daß die rasante technologische Entwicklung der Kontrolle der Menschen entglitten war; … die Kluft zwischen den Bedürfnissen des einzelnen Menschen und der Gesellschaft wurde immer größer.”11
Die Zukunftsforscher jedoch (unter ihnen auch Robert Jungk), entwarfen ein Gegenmodell zu dieser Praxis. Denn sie waren der Meinung, daß die Entscheidungen, die jene Interessengruppen trafen, über die Köpfe der durch eben dieser Zukunftsszenarien betroffenen Menschen hinweg getroffen wurden. Die betroffenen Menschen wurden in die Gestaltungsprozesse ihrer eigenen Zukunft nicht mit einbezogen.
Das Gegenmodell der Zukunftswerkstatt nach Robert Jungk beinhaltet deshalb folgende drei Ziele12:
1. Demokratisierung der Gesellschaft:
Die Menschen sollen über ihr eigenes Leben bestimmen können. Es geht also darum, den gesellschaftlichen Machtstrukturen, der Fremdbestimmung durch Interessengruppen (z. B. Politiker und Wirtschaft) und auch der Verwaltungen, entgegenzuwirken. Diese sollen nicht ohne Beteiligung der Betroffenen Entscheidungen treffen und Fakten schaffen.
Es geht in der Zukunftswerkstatt allerdings nicht um das Treffen von Entscheidungen an sich, sondern um Mitbestimmung und Einmischung (was nicht bedeutet, daß dies weniger zu bedeuten hätte). Im Idealfall geschieht dies auch direkt an den Orten, wo gesellschaftliche Probleme auftreten.
2. Zukunftsentwürfe auf der Basis von Wünschen und Phantasie:
Durch diese Demokratisierung soll erreicht werden, daß sich die Menschen eigenständige Gedanken über ihre Zukunft machen und auch eigene Vorstellungen und Pläne entwerfen können. Dabei geht die Zukunftswerkstatt von zwei Grundressourcen des Menschen aus: Von dem Wissen über die eigenen Lebensumstände, der eigenen Phantasie und den individuellen Bedürfnissen, also von persönlichen, idealen zukünftigen Zuständen.
So können Zukunftswerkstätten in ihrer Ausweitung und Modifikation beispielsweise auf Bereiche wie Stadtplanung, Mitgestaltung des Arbeitsplatzes, den dortigen Arbeitsabläufen, auf die Gestaltung von Beziehungen und den Umgang mit persönlichen Problemen angewendet werden.
Dabei muß man sich darüber aber im Klaren sein, daß jede Zusammenkunft von Menschen, deren Gedankenaustausch, deren gemeinsame Zielsetzung hinsichtlich einer Umsetzung ihrer Gedankenentwürfe, letztendlich immer in irgendeiner Weise eine politische Aktivität darstellt.
3. Aktivierung der Teilnehmer:
Diese politische Aktivität verpufft allerdings im luftleeren Raum, wenn man nicht versucht, auch wirklich die gemeinsame Durchsetzung der gewonnenen (Gedanken-) Entwürfe und Zielvorstellungen zu erreichen. Denn ursprünglich standen doch die Wünsche und Bedürfnisse der teilnehmenden Menschen zur Diskussion, deren Erfüllung das Ziel ist und bleibt. – Geschieht dies also nicht, hätte das Frustration und Resignation der betroffenen Menschen zur Folge.
Die Zukunftswerkstatt ist also eine Möglichkeit, Menschen in gemeinsamer und doch eigenständiger Arbeit dabei zu unterstützen, ihre gemeinsam formulierten Ziele, aus der Gruppe heraus entstehen zu lassen und zu erreichen. Eine Unterstützung, die es ermöglichen könnte, eine Demokratisierung, eine Willensbildung “von unten nach oben” entstehen zu lassen.
Die Phasen der Zukunftswerkstatt
Charakteristisch für den Ablauf einer Zukunftswerkstatt ist die klare Unterteilung in drei Phasen, welche hier (vereinfacht und verkürzt) zusammengefaßt sind:13
1. Kritik-, Beschwerde- oder Meckerphase:
In dieser Phase wird eine Bestandsaufnahme des gegenwärtigen oder zu erwarteten Zustandes, bzw. der diese auslösenden und bedingenden negativen Aspekte, gemacht. Die Gruppe kann hier ihre Beschwerden vortragen, aufgestauten Ärger entladen und wählt anschließend die wichtigsten Gesichtspunkte aus. Dieser “Katharsis-Effekt” schafft die produktive Grundlage für die nächste Phase.
2. Ideen-, Phantasie- oder Utopiephase:
Hier werden Idealvorstellungen und Wünsche der Teilnehmer gesammelt. Diese “Utopien” sollen frei von den vorher gesammelten negativen Aspekten, sollen keine reine Gegenvorstellungen zu den Kritikpunkten sein. Nicht, was eigentlich ist, ist also wichtig, sondern der freie spielerische Gedanke, losgelöst von äußeren (realen) Sachzwängen. Gegenwartsorientiertes, realistisches Denken ist also verpönt. Abschließend werden diese aufgeschriebenen Utopien wieder gesammelt und die demokratisch ermittelten, wichtigsten Gedankenbeiträge ausge wählt (z. B. durch Punktevergabe).
3. Umsetzungs-, Planungs-, Realisierungs- bzw. Konkretisierungsphase:
In diesen, zusammengenommen auch Verwirklichungs- oder Nachbereitungsphase genannten, Stufen werden die Ergebnisse wieder in Bezug zur Realität gebracht – konkretisiert. Es werden (je nach Auslegung der Zukunftswerkstatt), basierend auf den gewonnenen Ergebnissen, Forderungen aufgestellt, individuelle Verhaltensmöglichkeiten überlegt oder aber Lösungsmöglichkeiten für Projekte und deren Umsetzung geplant. Auch deren reale Durchsetzungsmöglichkeiten werden überprüft. Es wird ein Protokoll und eventuell eine Publikation erstellt und die Verwirklichung des Ergebnisses angestrebt und mit dessen Verwirklichung auch tatsächlich begonnen.
Zukunftswerkstätten bieten somit den sonst nicht oder nur selten gefragten Bürgern, Kindern und Jugendlichen und sonstigen Interessengruppen, die Möglichkeit, die sie betreffenden Probleme und Entwicklungen zu erkennen, aufzuzeigen und vor allem auch eigene Lösungsvorschläge, kreative Vorstellungen und Alternativen für ihr Leben, ihre Umwelt, ihre Arbeit, ihre Gemeinde zu erarbeiten.
Zukunftswerkstätten sind also bestens als ein praktisch-methodisches Instrument (nicht nur) der Sozialen Arbeit mit Gruppen geeignet. Und dies unter Verwendung von:
- Kreativmethoden und Visualisierungsverfahren. Es werden die einzelnen Phasen transparent gestaltet (alle Diskussionsbeiträge und Ergebnisse werden auf Metaplankärtchen oder Wandzeitungen dokumentiert).
- teilnehmerorientierten Moderationsmethoden (Kleingruppendiskussionen und anderen aktivierenden Gruppenverfahren, die Moderatoren sind Begleiter / “Geburtshelfer” für Ideen der Betroffenen und nicht “Gruppenleiter”).
- anregenden, Spaß machenden Methoden und Medien, wie auflockernde Spiele, lustige Produktionen und Präsentationen.
- einem charakteristischen und aufeinander aufbauenden Phasenschema mit Kritik- und Beschwerdephase, Phantasie- und Utopiephase, Umsetzungs- und Planungsphase. Es entsteht eine fortschreitende Entwicklung hin zu realisierbaren Umsetzungsmöglichkeiten.
Durch den demokratischen Prozeß während des Ablaufs einer Zukunftswerkstatt14 sind Entscheidungen und Forderungen am Ende von Zukunftswerkstätten auch “Wir”-Entscheidungen und “Wir”-Forderungen.
Die Beteiligungsspirale nach Waldemar Stange
Stange nun, paßte das Modell der Zukunftswerkstatt mehr auf die speziellen Bedingungen und Bedürfnisse der Partizipation von Kindern und Jugendlichen an.
Zwar kommen Zukunftswerkstätten “mit ihrer starken Betonung kreativer Elemente den Bedürfnissen von Kindern in besonderer Weise entgegen. Handlungsorientierung, Produktorientierung, lustvolle und spielerische Elemente, die Betonung sozialer Phantasie, eine große Erfahrungs- und Erlebnisdichte, also insgesamt ein sehr hoher Motivierungs- und Aktivierungsgrad ziehen Kinder sehr stark an. Der Anregungsgehalt und der sehr große Varianten- und Abwechslungsreichtum “fangen die Kinder ein”, erleichtern die Konzentration und die konsequente Arbeit am Projekt.”15 Doch erwies es sich als problematisch, in der dritten Phase dann auch noch konkret Projekte auszuarbeiten, bzw. umzusetzen, da zu jenem Zeitpunkt durch die kreative und andauernde Arbeit am Projekt zumeist “die Luft raus ist”.
Um dieses Manko der Zukunftswerkstatt zu umgehen, konzipierte Stange die Beteiligungsspirale so, daß er den Versuch unternahm, “die zentralen Bestandteile der Umsetzung, Realisierung, Konzeptionierung und Planung aus der Zukunftswerkstatt herauszuziehen”16 um in der eigentlichen Abschlußphase der Zukunftswerkstatt nur noch erste grobe gemeinschaftliche Ziele zu sammeln und in Form einer Präsentation die Ideen, Ergebnisse und Vorschläge der Beteiligten einer möglichst breiten Öffentlichkeit vorzustellen.
Die Konkretisierung jener Ergebnisse wird dann in einem Planungszirkel, welcher als eigenständiges Projekt zu verstehen ist, mit den etwaigen Behörden, Firmen und Erwachsenenexperten (was lediglich die Möglichkeit zur Umsetzung der Ziele betrifft), ausgehandelt und angestrebt.
Zu der so modifizierten Zukunftswerkstatt mit ihrem anschließenden Planungszirkel kommen nun noch der Vorlauf- und der Realisierungsbaustein, welche die ersten beiden Bausteine umschließen, hinzu.
Diese Konzeption macht Sinn, wenn man sich überlegt, daß der Zukunftswerkstatt im Gegensatz zu den anderen Bausteinen, ganz anderen Mechanismen und Rhythmen zugrunde liegen. Ging es in der Zukunftswerkstatt etwa um Kreativität, Spaß am Tun und um Phantasie, so geht es bei den anderen Bausteinen etwa darum, fachliche Informationen zu sammeln, etwas auszudiskutieren, es eventuell politisch einzubringen und so fort.
Wie Beteiligungsspiralen im einzelnen aufgebaut sein können, möchte ich folgend knapp darstellen. Dabei geht es mir mehr um das Prinzip des Aufbaus der Beteiligungsspirale, denn um den genauen konzeptionellen Ablauf einer solchen.17 Der kann nämlich von Fall zu Fall (Anlaß, Alter der Kinder, Nationalität, örtliche Gegebenheiten) variieren und ist lediglich als “offener Werkzeugkasten”18 zu verstehen, der den jeweiligen Gegebenheiten anzupassen wäre.
“Je offener, flexibler und kreativer man an ein Projekt herangeht, um so besser ist es für die Sache, die Betroffenen und Moderatoren. Es soll nämlich beiden Seiten Spaß machen!”19
Die Bausteine der Beteiligungsspirale
1. Baustein: Vorlauf
In der Einstiegsphase geht es darum, Probleme überhaupt erst einmal wahrzunehmen. Denn wie in diesem Kapitel bereits angesprochen, sind es in den wenigsten Fällen die Kinder und Jugendlichen selber, die ein Projekt initiieren. So geht es also vielmehr darum – eventuell aber schon mit ihnen zusammen – Verbündete zu finden und so eine Gruppe zu bilden, die das weitere Vorgehen plant. Ganz wichtig ist hierbei, die Chancen eines Projektes abzuklopfen. Denn nichts wäre eklatanter, als wenn sich später herausstellen würde, daß die initiierten Ziele etwa aus finanziellen Gründen gar nicht verwirklicht werden können. Ein Abbruch des Projektes aus jenen Gründen hätte zur Folge, daß die Beteiligten dermaßen frustriert und enttäuscht würden, daß sie für spätere mögliche Projekte erst gar nicht zu gewinnen wären.
In der Anschubphase geht es nun darum, aus jener Initiativgruppe heraus Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben, um über den Rahmen der eigentlichen Gruppe hinaus Verbündete (z.B. in Behörden, in der Politik, bei Firmen, bei eventuellen Sponsoren, bei Architekten und Stadtplanern) zu finden. Außerdem ist es notwendig, Informationen zu sammeln, um zu wissen, an welche Stellen gegebenenfalls Anträge zu stellen sind.
Auch geht es in dieser Phase darum, durch Informationen und Vernetzung abgeklärt zu haben, ob das Projekt wirklich durchführbar ist. Es sollten außerdem Vorbereitungen zur Realisierung des zweiten Bausteines getroffen werden, indem man sich etwa Moderatoren von außen holt, die eine Zukunftswerkstatt überhaupt durchführen können und dann mit diesen abklären, worum es überhaupt geht und wie die Vorstellungen zur Durchführung sind.
2. Baustein: Zukunftswerkstatt
In der Einstiegsphase geht es darum, sich in der Arbeitsgruppe kennenzulernen, um die Klärung organisatorischer Fragen, der Intention dieser Zukunftswerkstatt, der Ziele, der Methode, sowie um die Festlegung allgemeiner Regeln in der Gruppe.20
In der anschließenden Kritikphase geht es wie bei Jungk darum, zu meckern, zu motzen und sich abzureagieren, damit man für die anschließende Phantasiephase den Kopf frei bekommt.
Ziel der Phantasiephase ist es nämlich, ein Klima herzustellen, in dem sich die Beteiligten kreativ, experimentierfreudig und völlig angst- und bewertungsfrei ihrer Phantasie und ihrem Ideenreichtum hingeben können (Brainstorming, Erfinderspiel, Ideensprint), um dann, nach einer Vorauswahl der Ergebnisse (etwa an Metaplanwänden), in den Modellbau einzusteigen.
In der Arbeit am Modellbau kommen alle genannten ganzheitlichen Aneignungsprozesse zum Tragen, wie ich sie bereits angesprochen habe und ermöglicht es auch den Kindern und Jugendlichen, deren Qualitäten weniger im verbalen Bereich liegen, sich ganz mit einzubringen – einmal ganz abgesehen von den so vorhandenen Möglichkeiten der positiven gegenseitigen Beeinflussung der sechs Dimensionen.
Des weiteren spielen die hergestellten Modelle nicht nur gruppendynamisch eine wichtige Rolle, sondern sie können auch im weiteren Verlauf der Beteiligungsspirale immer wieder als emotionales oder kommunikatives Verständigungsmittel eingesetzt werden.
In der Präsentationsphase kommen die Modelle als Kommunikationsmittel zum Tragen. Denn hier geht es darum, z. B. der Öffentlichkeit, den Eltern, den Politikern, den Ämtern und Behörden zunächst einmal seine Ergebnisse vorzustellen. Die Modelle machen die Arbeit während den vorangegangenen Phasen für Außenstehende erst transparent. Auch die während der Phasen erstellten Metaplanwände, welche etwa in Form von Meckermauern und Auswertungen (die unter anderem zum Modellbau führten) vorhanden sind, werden präsentiert.
Letztendlich kann man sagen, daß diese Phase den Weg zur Realisierung der gemeinsam erarbeiteten Ziele ebnet. Denn hier (oder aber schon in der vorherigen Phase) kann man auch durch demokratische Entscheidungsfindungen die eventuellen verschiedenen Vorschläge (wenn es sich beim Modellbau in Kleingruppenarbeit handelte) zusammenführen, nach außen präsentieren und eventuell auch schon erste Zugeständnisse bei den zuständigen Politikern, Ämtern oder Behörden einholen.
Außerdem können hier, gemeinsam mit den hoffentlich anwesenden Entscheidungsträgern, erste Zusammensetzungen des Planungszirkels angestrebt, geklärt und in die Wege geleitet werden.
Die Ausstiegsphase dient anschließend dazu, in der Gruppe noch einmal gemeinsam zu reflektieren, was man bis jetzt erreicht hat, was einem gefallen, bzw. nicht gefallen hat, einen Ausblick auf den bevorstehenden Planungszirkel zu geben und sich schließlich bis dahin vorläufig zu verabschieden.
3. Baustein: Planungszirkel
Auch wenn in dieser Phase die Einbeziehung von Behörden, Ämtern und Politikern zunimmt, ist die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, wie bereits beschrieben, auch und gerade hier gewollt.
In der Auswahl- und Entscheidungsphase kann man, wenn man noch keine Entscheidung bezüglich eines Modells / eines Zieles getroffen hat, dies in dieser Phase nachholen. Gegebenenfalls kann man aber auch bereits gemeinsam getroffene Entscheidungen noch akzentuieren und letztendlich zu einer endgültigen Festlegung der Ziele kommen.
In der Informationsphase können dann auch die “Erwachsenenexperten” (z. B. Architekten und Grünflächenamt) ihre Vorschläge und Informationen mit einbringen. Dies hat den Vorteil, daß nach fachspezifischer Information der Kinder und Jugendlichen, eine gemeinsame Prüfung der Vorschläge vorgenommen werden kann. Durch gemeinsam ausgehandelte konstruktive Ideen und Vorschläge zur Umsetzung der Ziele kann man nun an deren weitere Ausarbeitung gehen.
Die Ausarbeitungsphase ist im Prinzip eine Weiterführung der Informationsphase. Denn hier haben die Arbeitsgruppen weitere Aufgaben wie Gespräche mit Behörden und Ämtern zu führen. Die Fachleute erstellen Pläne, welche sie den Kindern und Jugendlichen präsentieren und von diesen begutachten lassen. Der Kostenrahmen muß präzisiert und eingereicht werden.
Auch in diesem Baustein der Beteiligungsspirale kann es eine Präsentationsphase geben. Denn um sein Projekt durchzusetzen, müssen gegebenenfalls diverse Fachausschüsse, der Gemeinderat oder andere Zuständigkeiten durch die Präsentation von etwa den Photos der Zukunftswerkstatt und des Planungszirkels, durch Zeichnungen und Pläne aus den vorangegangenen Phasen und unter Einsatz der oben angesprochenen Modelle, (natürlich möglichst eindrucksvoll) unterrichtet und so mit einbezogen werden.
Mit der politisch-administrativen Phase wird die Bauphase des Projektes eingeleitet. Hier wird die Ausführung nun konkret geplant, letzte Einzelheiten mit Ämtern werden geklärt, Angebote von Firmen werden eingeholt, Abschlußprüfungen, die konzeptionell und sicherheitstechnischer Art sein können, werden vorgenommen und die Auftragsverteilung wird letztendlich in die Wege geleitet.
4. Baustein: Realisierung
Auch in der Verwirklichungsphase, welche die eigentliche Umsetzung, also in diesem Fall die Umgestaltung des Wohnumfeldes meint, können Kinder und Jugendliche mitmachen. Natürlich kann dies nicht bei allen baulichen Maßnahmen geschehen. Stehen dem Mitmachen aber keine sicherheitstechnischen Überlegungen entgegen, kann dies abermals bei den Beteiligten zu mehr Zuwachs an Stolz und Selbstbewußtsein führen und wäre ein gelungener Abschluß des gesamten Projektes.
Unter der Nachfolgephase kann man jene “Nebenwirkungen” einer Beteiligungsspirale betrachten, die im Nachhinein und im Umfeld dieser Projekte entstehen können.
Synergieeffekte, wie die Gründung von Kinder- und Jugendparlamenten und das vermehrte Zu- und Eingehen von Politikern, Stadtplanern und weiteren Entscheidungsträgern der Kommune auf Kinder und Jugendliche, wenn es um die Umsetzung von Belangen jener Zielgruppe geht, können durchaus entstehen, sind beabsichtigt und nicht unüblich.
Abschließende Betrachtung der Beteiligungsspirale
Stange betont, daß sein Konzept der Beteiligungsspirale “besondere Chancen für die pädagogische Dimension von Partizipation“21 bietet.
Denn, wie bereits beschrieben, erfordern psychische Entwicklung und Wachstum Zeit und erfolgen immer in ganzheitlichen Zusammenhängen. Gerade dies bietet die Beteiligungsspirale. Denn bei ihr handelt es sich nicht nur um eine punktuelle, einmalige (Frage-) Aktion, sondern vielmehr um einen längerfristigen Prozeß. Aber immer nur an einem einzigen Thema – einem einzigen Vorhaben, bzw. Projekt – welches dann aber über einen längeren Zeitraum intensiv und ausführlich bearbeitet, begleitet und realisiert wird.22
“Wer Wachstum und Entwicklung von Kindern und Jugendlichen unter dem Gesichtspunkt von Partizipationsfähigkeit will, muß sich der Mühe unterziehen, Kindern und Jugendlichen die Erfahrung und Gestaltung einer kompletten Beteiligungsspirale, d. h. eines vollständigen Handlungsablaufes zu ermöglichen. Nur wenn ein solcher Ablauf vollständig ist und Kinder und Jugendliche nicht vor der Zielerreichung frustriert werden, kann authentisch erfahren werden, was Kontrolle der eigenen Lebensbedingungen und Beteiligung bei der Veränderung und Umgestaltung sozialer Wirklichkeit … bedeuten.” 23
Denn die “Metapher der “Spirale” meint vor allem, daß Beteiligung von Kindern und Jugendlichen … gerade in dieser projektorientierten Form sich auf allen Ebenen des Prozesses immer wieder, kreisförmig und auf immer höherem Niveau wiederholt: im Vorlauf, in der Ideenphase, also der Zukunftswerkstatt, im Planungszirkel, aber auch bei der politischen und verwaltungsmäßigen Durchsetzung, bei der Strategie der Öffentlichkeitsarbeit und schließlich auch bei der eigentlichen Realisierung, beim Bauen.”24
Auch Schröder (der Stange hier implizit beipflichtet) betont, daß jene Beteiligungsformen am besten funktionieren, wo Kinder und Jugendliche direkt und persönlich betroffen sind.
Zugleich stellt er auch die Frage, in welchen Beteiligungsformen sich die persönliche Betroffenheit am besten widerspiegeln läßt.
“Meines Erachtens sind es die dezentralen, offenen
Formen der Beteiligung, die es jedem
betroffenen Kind oder Jugendlichen ermöglichen, daran
teilzunehmen. Die hauptsächlichen Themen der Kinder und
Jugendlichen betreffen Probleme in ihren unmittelbaren
Lebensbereichen. Es ist oftmals der Verkehr im Wohnbereich, es
sind die Spielplätze, die Freizeiteinrichtungen und
-angebote, die Schule, alles im unmittelbaren Umfeld der
Kinder und Jugendlichen gelegen. Genau hier sollten die
direkten Beteiligungsmöglichkeiten geschaffen werden.
… In vielen … Projekten im Bereich der
Stadtplanung und -gestaltung wurde deutlich,
daß die Beteiligung der Kinder und
Jugendlichen an Effektivität und Konkretheit gewann,
je stärker realitätsnahe Methoden eingesetzt wurden. Während
abstrakte Formen der Beteiligung (Fragebögen)
sowie verbale Methoden gerade bei jüngeren Kindern Probleme
bereiten können, bieten dreidimensionale Methoden (Modellbau in
verschiedenen Maßstäben) einen höheren Grad an Konkretheit.
…
(Es) eignen sich dreidimensionale Methoden besonders, wenn es
darum geht, einen konkreten Bezug zur Realität herzustellen.
Wie im Bereich der Politik sind es auch im Bereich der
Stadtplanung und -gestaltung gerade die
konkreten und überschaubaren Projekte im Stadtteil oder
Wohnquartier, die eine Beteiligung von Kindern und Jugendlichen
besonders sinnvoll erscheinen lassen. Bei der Auswahl
der Methoden müssen alters- und sozialgruppenspezifische
Aspekte der beteiligten Kinder und Jugendlichen mit
berücksichtigt werden. Dabei darf bei allem Ernst der
Sache nicht der Spaß an der Beteiligung verloren
gehen.”25
Es ist belegt, daß Kinder und Jugendliche – gemäß dem Aneignungskonzept – durch Beteiligung ihre Umwelt ganz anders wahrnehmen und dementsprechend anders behandeln. Denn etwas, was man selbst mit geschaffen hat, wird man auch nicht zerstören – man wird es eher erhalten und schützen wollen.
“Kinderfreundliche Infrastrukturen und die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an Planungen beugen offensichtlich Vandalismus und Gewalt vor. Junge Menschen scheinen sich von ihnen mitgestaltete Räume anzueignen und sich in ihnen sozialer zu verhalten. Kinderfreundliche Infrastrukturen und Partizipation senken so soziale Kosten!“26
Ein Aspekt, der nicht zuletzt die Geldgeber, die Politik sowie die ortsansässigen Erwachsenen, etc. interessieren wird und zugleich der Kommunikation zwischen ihnen und den Kindern und Jugendlichen, nur zuträglich sein kann.
Und last but not least zeigen Untersuchungen, daß Kinder und Jugendliche durchaus gerne und dann auch engagiert und reflexiv bei der Planung und der Umgestaltung ihres Wohnumfeldes mitarbeiten können und möchten. Zum Einen, weil sie dies den Erwachsenen immer weniger zutrauen und von ihnen schon zu oft enttäuscht wurden und zum Anderen, weil es ihr innerstes Bedürfnis ist.
Und Erfahrungen machen deutlich, “daß jeder Mensch Phantasie hat und aktiv tätig sein will und kann, also partizipationsfähig ist und sich mit eigenen Beiträgen beteiligen kann. Manchmal ist dies vielleicht durch das bisherige Leben verformt und verschüttet, aber immer auffindbar!”27
- Ein Satz, den selbst Rogers nicht besser hätte formulieren können.
- Stange 1998, Seite 21 ↩
- Stange 1998, Seite 21 ↩
- Rolff / Zimmermann 1997, Seite 58 ↩
- Stange 1998, Seite 21 ↩
- Siehe dieses Kapitel ↩
- Schilling 1995, Seite 187 ↩
- Stange 1998, Seite 16 ↩
- Stange 1998, Seite 16 ↩
- Vgl. auch Vester 2000 ↩
- Dauscher 1998, Seite 97 ff ↩
- Quitmann 1996, Seite 27; Vgl. auch Rogers 1980 und 1981 ↩
- Dauscher 1998, Seite 97 f ↩
- Siehe Dauscher 1998 & Stange 1998 ↩
- Mehr dazu auf dieser Seite mit mehr Tipps aus der praktischen Arbeit. ↩
- Stange 1998, Seite 18; Beispielhaft sei hier wieder auf die Dokumentation im Anhang verwiesen. ↩
- Stange 1998, Seite 18 ↩
- Zudem würde es den Rahmen dieser Arbeit auch bei weitem sprengen. ↩
- Stange 1998 ↩
- Stange 1998, Seite 29 ↩
- Siehe auch Langmaack / Braune-Krickau 1998 ↩
- Stange 1998, Seite 19 ↩
- Das dieser Prozeß aber in einem bestimmten zeitlichen Rahmen beendet sein muß, habe ich bereits in diesem Kapitel erwähnt. ↩
- Stange 1998, Seite 24 ↩
- Stange 1998, Seite 19 ↩
- Schröder, 1995, Seite 133 ff ↩
- Stange 1998, Seite 13; Vgl. u. a. Schröder 1996 ↩
- Stange 1998, Seite 24 ↩